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Beitrag vom 20.02.2006
Melancholie. Genie und Wahnsinn in der Kunst
Rukshana Adrus-Wenner
Das Kunst Highlight in Berlin. Die Ausstellung mit über 300 Exponaten von der Antike bis zur Gegenwart aus internationalen Museen und privaten Sammlungen bis 07.05.2006 in der Neuen Nationalgalerie
Meisterwerke in der Metropole
MELANCHOLIE - leuchtend rot. Die Schrift in der Signalfarbe an der Glasfassade der Mies-van-der-Rohe-Bau kündigt eine neue Kunstspektakel in der Neuen Nationalgalerie an.
Die Schau ist eine Zusammenarbeit zwischen den Pariser und Berliner Museen. Sie wurde zuerst im Grand Palais gezeigt und begeisterte sehr erfolgreich über 300 000 BesucherInnen. Für die zweite Station in Berlin wurde es durch neue Akzentsetzung erweitert und ergänzt. Hier standen mehr Platz und auch die Leihgaben der hiesigen Museen und Institutionen zur Verfügung.
Die schwere politische Kost auf der Berlinale, das trübe triste Wetter und Schneeregen auf die Straßen verdüstern die Stimmung der StädterInnen. Da kommt schon die nächste Nachdenklichkeit auf die BerlinerInnen zu. Trotzdem lohnt es sich, den Berlin Blues draußen zu lassen und sich hinein in die dunkle Räume zu begeben. Um das Wesen der Schwermut zu erkunden und der schwarze Seele näher zu kommen, steigt man in die Tiefe.
Der Arzt Hippokrates, der um 400 v. Chr. lebte, hat den Begriff (griechisch melas = schwarz und cholé = Galle) geprägt, was Traurigkeit, Niedergeschlagenheit und Verwirrung bedeutete. Es gibt viele Bezeichnung für diese Haltung. Melancholie. Weltschmerz. Depression. Früher sagte man "Schwarze Galle". "Trägheit des Herzens". "Acedia". Jede Epoche hat ihre eigene Interpretation für die Melancholie. Im Mittelalter kannte man den "Mönchskrankheit", die als Todsünde galt. "Kinder des Saturns" wurden in der Renaissance die KünstlerInnen, die Verrückten, die AbweichlerInnen bezeichnet. Die RomantikerInnen litten an der süßen Melancholie. Im Barock wurde die Todesmotiv allgegenwärtig. Im 19. Jahrhundert wurden Bilder als Seelenlandschaft gesehen. Mit dem wissenschaftlichen Fortschritt begann man neue Methoden anzuwenden, um dieser Krankheit auf die Spur zu kommen. Langsam verlor der Melancholie-Mythos seine Geheimnisse. Heute spricht man in der Psychiatrie von Depression, Psychose.
Der umfangreiche, enzyklopädische Parcours ist auf 15 Säle verteilt, eine Besonderheit ist der rote "Raum des Wahnsinns". Der Zustand der Melancholie und Trübsinn wird als Gegenstand der Philosophie, der Naturwissenschaften, der Medizin, der Psychologie und der Kunstgeschichte gezeigt. Die Themen der Schau behandeln Klang, Einsamkeit, Sehnsucht, Empfindsamkeit, Intellekt bis zu Melancholie der Moderne. Die präsentierten Skulpturen, Tafelbilder, Kunstobjekte, mittelalterliche Manuskripte, Handschriften, grafischen Druckblätter und wissenschaftlichen Schriften sowie medizinhistorisches Gerät und Musikinstrumente verdeutlichen die Fülle der unterschiedlichen Interpretationen der Melancholie.
Die typische Haltung des Melancholikers, mit aufgestütztem Kopf in einer nachdenklichen Pose, ist ein Grundmotiv durch die Jahrhunderte. Der Rundgang durch das Kunst-Labyrinth führt von einer Grabstele (4. Jh. V. Chr.), mittelalterliche Mönche, Dürers Denkbild "Melencolia I", Portraits aus den Niederlande, Goyas "Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer", Caspar David Friedrichs "Mönch am Meer", van Goghs "L’Arlésienne", Edward Munchs "Melancholie", Edward Hoppers Platzanweiserin "Cinema in New York, Nam June Paiks "Video Buddha und Video Denker" bis zu Ron Muecks Big Man.
Ein Wermutstropfen bleibt. Frauen sind zwar viele als Melancholie-Verkörperungen zu sehen, Künstlerinnen sucht man vergebens, abgesehen von Hannah Höch, die mit dem Werk "Resignation" vertreten ist.
Auch KünstlerInnen anderer Genre, so SchriftstellerInnen oder MusikerInnen kennen Blockaden. Die SchriftstellerInnen, die vor einem weißen leeren Blatt oder vor einem blanken Bildschirm sitzen und nicht weiterkommen. Um daran nicht zu verzweifeln oder irre zu werden, muss man tätig sein. Wenn man denkt, wird man melancholisch. Dies hat auch etwas mit dem Gefühl des Scheiterns zu tun. Kreativität als Befreiung von der Krise und seelischer Konflikt. Das Kunstwerk als Katharsis. Die Gratwanderung kannte auch Seneca der meinte "Es hat keinen großen Geist ohne Beimischung von Wahnsinn gegeben". Nicht zuletzt kommt diese Ausstellung gelegen zum 150. Todestag Heinrich Heines der so trefflich die Stimmung mit den Worten "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin" in seinem berühmten Gedicht "Lorelei" eingefangen hat.
Spätestens zum nächsten Großereignis im Sommer - bei der WM 2006 - hat man wieder Gelegenheit, melancholisch zu werden!
AVIVA-Tipp
"Salon noir"
Ein Raum im Raum ist die acht Meter hohe "black box" im Erdgeschoss, wo Neue Medien, Filme und zeitgenössische KünstlerInnenvideos präsentiert werden. Abgerundet wird die Ausstellung mit einem umfangreichen Rahmenprogramm, diversen Veranstaltungen sowie Vorträgen, Podiumsdiskussionen, Tanz, Lounge, Lesungen, Konzerten und Clubnächten.
Neue Nationalgalerie
Potsdamer Str. 50
10785 Berlin
Fon: 030 266 36 69
Öffnungszeiten:
Di, Mi, So 10-18 Uhr
Do 10-22 Uhr
Fr, Sa 10-20 Uhr
Weitere Informationen zur Ausstellung erhalten Sie unter: www.melancholieinberlin.org